Algorithmisches auf Abruf

tl;dr: Für das vor kurzem erschienene Handbuch Medien- und Informationsethik habe ich ein Kapitel zum Thema „Algorithmen“ geschrieben – eine Preprint-Version des Textes könnt ihr euch am Ende dieses Blogbeitrags herunterladen (UPDATE: jetzt sogar mit den richtigen Seitenzahlen)

Kinder, wie die Zeit vergeht! Wenn ich das richtig sehe, dann habe ich meinen letzten Beitrag hier vor rund 18 Monaten fallen lassen. 18 Monate. In dieser Zeit werden durchaus mal Kinder gezeugt, geboren und eingeschult. Oder so. Nun ja, das war jedenfalls nicht der Grund meiner Schweigsamkeit. Neben einigen beruflichen Abenteuern und Umwälzungen – ich arbeite seit Kurzem wieder ganz gediegen an der Uni (wer hätte das gedacht?!) – habe ich über den Sommer meine erste Tagung organisiert und bin auch sonst eine fleißige Garnele. Das könnt ihr gerne bei Interesse hier oder hier nachlesen. Müsst ihr aber nicht.

Der Grund für diesen Post ist schlichtweg schamloses Self-Plugging. Heißt: Ich habe was verbrochen und würde euch gerne daran teilhaben lassen. Und zwar begab es sich ungefähr Ende 2014, dass ich von Jessica Heesen die Anfrage erhielt, ob ich nicht für das Handbuch Medien- und Informationsethik ein Kapitel beisteuern möchte. Themenkreis: Algorithmen. „Puuuh“ – mein erster Gedanke. So ein Riesenthema und das auf sieben Seiten. Einerseits eine immense Herausforderung: Wie soll ich das nur hinkriegen, weiß ich da überhaupt genug, was berechtigt mich dazu, hier etwas beizutragen und wo soll man da überhaupt anfangen? Andererseits freut man sich natürlich über eine solche Anfrage und so ein umfassendes Handbuch mit vielen tollen Beiträgen, darauf haben wohl viele (inklusive mir) schon lange gewartet, da möchte man natürlich gerne mit dabei sein. Kurzum: Ich sagte zu – und das Drama nahm seinen Lauf …

Warum Drama? Zunächst einmal ist der Gegenstand Algorithmen einer, der im (deutschsprachigen) medienethischen Diskurs noch relativ neu ist. Das erschwert zum einen die Recherche und zum anderen fehlt es an diskursiven Ankern, die sich klar dar- und gegenüberstellen lassen. Dadurch, so jedenfalls mein Eindruck, trägt man als Autorin eine gewisse Verantwortung: Es gilt nicht nur ein komplexes, eher schwer zugängliches Phänomen knapp zu erläutern und in den Kontext Medien/Kommunikation zu stellen. Sondern eben auch einen Vorschlag zu unterbreiten, welche Fragen sich der Medien- und Informationsethik im Zusammenhang mit Algorithmen stellen – und in Zukunft stellen werden.

Mein Blick auf den Gegenstand war zunächst sehr offen und breit angelegt – Literatur aus mehreren Jahrzehnten und diversen Disziplinen wollte gesichtet werden, von „Klassikern“ der STS, Informatik und Computer Science zu noch recht neuen Texten, die versuchen Algorithmen aus medien- und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive einzukreisen. Das bedeutet Übersetzungsleistung in mindestens zweifacher Hinsicht: Fast alle Texte, die mir hilfreich erschienen, waren in Englisch – wer schon mal versucht hat, bestimmte Fachtermini (gerade auch ethiktheoretische) zu übersetzen, weiß vielleicht was ich meine. It’s hard work. Genauso knifflig ist es aber, Überlegungen aus informatikorientierter Perspektive in die Gegenstandsfelder der Medienethik zu „transportieren“. Und dann ist da noch die öffentliche Debatte, die oft sehr normativ daher kommt und sich – gerade in deutschsprachigen Medien – auf die recht mythisch-kryptische „Macht“ der Algorithmen und große Player wie Google oder Facebook zu konzentrieren scheint. Allerdings ist auch der akademische Diskurs nicht immer so differenziert, wie es dem komplexen Thema angemessen wäre, denn allzu schnell werden lediglich die Gefahren einer „Algorithmisierung“ unseres Alltags betont, wie sie sich etwa hinter dem Begriff der ‚Filter Bubble‘ abzeichnen. Nicht zuletzt musste ich selbst zu einer Art „Filtor“ werden (i.e. Filter-Autor, der in verschiedene Richtungen Informationen durchlässt, sortiert, gewichtet, aggregiert und neu zusammensetzt). Das hat mich mehrere Wochen des Sommers 2015 und richtig viel Nerven gekostet und ich habe mich lange nicht so unfähig im Denken und Schreiben gefühlt.

Die größte Herausforderung war aber letztlich die Raumbegrenzung: Wo schneidet man ab? Welche Literatur (Stand: Ende 2015) lässt man drin – welche Texte sind eine Fundgrube für die Leser*innen, weil dort ganz viele weitere wichtige Texte genannt werden? Was kann durch Verweise auf andere Kapitel ausgelagert werden? Wo kann man sich eine Abkürzung erlauben und wo muss Tiefe her? Letzten Endes ist das Resultat eine dicht bepackte, eng geführte Landkarte möglicher Abzweigungen, die die Leser*innen für sich selbst erkunden und dabei entscheiden müssen: In welche Richtung geh ich hin damit, an welcher Stelle möchte ich weiter bohren, wo sind hier leere Flecken? Ich hoffe, dass mein Text in dieser Hinsicht allen Lesenden ein Angebot macht, ohne den Blick zu eng zu führen, und auf diese Weise zum Weiterdenken anregt.

Für mich ist das Kapitel Algorithmen damit nicht beendet. Gerade in letzter Zeit denke ich viel darüber nach, welche Rolle ihnen zum Beispiel im netzbasierten öffentlichen Diskurs zukommt (siehe Social Bots und ähnliche Spielereien) und welche kreativen Gegenmaßnahmen wir als Nutzer*innen oder auch Gestalter*innen digitaler Umgebungen auf den Weg bringen könnten (wie sie zum Beispiel bei Obfuscation-Taktiken eine Rolle spielen). Ich habe jedenfalls viel gelernt im Schreibprozess und sei es nur, dass ich in nächster Zeit sicher erst mal keinen Handbuchartikel mehr schreiben muss *lol*

Wer das Kapitel „Algorithmen“ im Handbuch Medien- und Informationsethik lesen möchte, kann hier eine Preprint-Version als PDF herunterladen. Da ich an dieser Stelle nicht die endgültige, vom Verlag gesetzte Druckfahne veröffentlichen kann, habe ich die Seitenumbrüche im Fließtext markiert. Der gedruckte Band – den mein lieber Kollege Alexander Filipovic jüngst als „Meilenstein in der Entwicklung der Disziplinen Medien- und Informationsethik“ bezeichnete – ist Anfang September 2016 im Verlag J. B. Metzler erschienen und kostet 89,95 € (Verlagsseite).